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Alpha und Omega
Barling, Eleonore und die Monster
Der Kampf mit dem Käsekuchen
Gedanken eines einfachen Mannes
Haare färben
Maximilian und Isabella
Schwerelos
Drachi und der falsche Weihnachtsmann
 

Quidi, ein munteres Hirnkrebslein
Quidi erzählt
Quidi auf Inspektionsrundgang
Quidi, der Held
Quidi´s neues Personal
 

 

 

 

 

Quidi, ein munteres Hirnkrebslein

© Sanguis Draconis 26.03.2003

Oh, welch ein Morgen. Ich schlag die Augen auf, und spür unter der Nase, um
den Mund herum und links am Hals bis zum Ohr hinter eine klebrige Spur.
"Mist, schon wieder Nasenbluten"
Dies ist einer der Morgen, an denen schon ganz früh alle nervlichen
"Stricke reissen".
Erst gestern habe ich neue Bettwäsche aufgezogen : schwarz, mit nem
kleinen goldenen Drachen rechts unten auf dem Kopfkissen. Tja, der Drache wird
ab jetzt eher rostrot bleiben.
Rostrot, genau wie das große Duschtuch, das immer neben dem Bett liegt, um
eben über Nacht genau solche Fälle zu verhindern.
"Kann man sich nicht einmal wenigstens an was Neuem freuen? Nein,
scheints nicht"
Morgen hätte ich brav das alte Duschtuch wieder verwendet. Nur diese eine
verdammte Nacht ohne! Ich leb sowieso nur mit dunkelblauer und schwarzer
Bettwäsche. Nicht gerade therapeutisch wertvoll für nen "Depri", aber
sehr zweckmäßig. Wie gern würd ich mal in ein gelbes oder weißes Bett
schlüpfen.
Nun ja, sonst ist alles paletti. Ich betrachte kritisch die weiße Wand neben
dem Bett.
"Alles klar, nix versaut"
Ich denk an den Malerpinsel, der im Keller noch nicht ganz trocken ist vom
Wandstreichen, denn letztens hat ein Hustenanfall die Wand mit einem schönen
roten Muster versehen. Hat ausgesehen wie feiner Sprühnebel in Rot. Nass war
die Farbe ja ganz hübsch:
"Bring Farbe ins Leben"
fällt mir ein Werbespruch für Tapeten ein. Aber trocken ist es eben immer
dieses scheußliche rostrot. Das braucht kein Mensch.
Ich will aufstehen, falle aber wie ein gefällter Baum wieder in Rückenlage.
Mir dreht sich alles.
"Scheiß Tabletten",denk ich. "Aber was hilft`s, da musst
du durch. Erst mal ruhig liegen bleiben, dann wird`s schon wieder!"
Nix wird ! Es blutet bloß heftiger. Das Duschtuch ist längst
untergeschoben. Ich versuch den Kopf über den Bettrand nach unten hängen zu lassen,
was sofort von einer heftigen Kopfschmerzattacke quittiert wird. Eisbeutel
helfen auch nicht, weiß ich aus Erfahrung.
Mein Blick geht zum Telefon neben dem Bett. Ich werd mal meinen
"Seelen-ADAC" anrufen, meinen "roten Engel". Hoffentlich ist der
"rote Engel" um diese Zeit am Sonntag schon wach.
Er - bzw. sie - ist wach.
"Gott sei Dank"
Ich unterhalte mich über ne Stunde mit ihr. Sie ist einfach lieb. Das Herz
quillt mir über, aber leider auch die Blutströme aus der Nase. Sie merkt, dass
ich immerzu schniefe. Ich erzähls ihr, und darf mich in ihrem Mitleid baden.
Wie genieße ich dieses Bad! Immer und immer wieder. Alles ist dann halb so
schlimm. Ich bin unendlich dankbar, dass es sie gibt. Irgendwann frägt sie :
"bist du noch da"
Ich hab grade die Position im Bett gewechselt und bin am Rande einer
Ohnmacht vor Kopfschmerzen. Ihre Stimme dringt durch, und ich bin wieder ganz Ohr.
Nun, auch die schönste Stunde geht vorüber, wir verabschieden uns. So, was
tun?
Ich leg mich ins warme Badewasser, das warme Blut tropft auf meine Brust,
färbt mit jedem Tropfen das Wasser. Andere baden in Rosenblättern, ich halt in
Blut. Wenigstens die Farbe stimmt.
Meine Gedanken kreisen. Es kommt mir wieder vor, als ob ein kleiner Krebs
mit winzigen Scheren im Hirn sitzen würde, und diese zum Zuschnitt für einen
irren Schnittmusterbogen verwendet. Ich hab diesem treuen Begleiter schon lang
einen Namen gegeben: er heißt Quidi, das ist die Zusammensetzung der
Anfangsbuchstaben der Tabletten, die ich nehme.
Oh, er ist ein Meister seines Fachs. Er schwingt die Scheren so virtuos wie
kein anderer. Er schneidet zielsicher Äderchen durch, die man sowieso  - so
meint er - nie mehr braucht. Er kappt Erinnerungen, lässt Schlechtes
verblassen. Praktisch, so ein Hirnkrebs, nicht wahr? Natürlich lässt er auch
viel Schönes verblassen, aber das kümmert ihn wenig. Jede Dienstleistung hat
schließlich ihren Preis.
Nun, heute ist Quidi in Höchstform. Er schafft gewissenhaft neue
Gedächtnislöcher. Das, was an Substanz von ihm ausgehöhlt wird, fließt als klebriger
Brei aus der Nase. Ah ja, er muß heute Geburtstag haben, deshalb ist er so
eifrig bei der Sache. Den wievielten hab ich vergessen. Genauso, wie ich vergessen
hab, wie lange ich eigentlich in der Wanne gesessen bin, bis Quidi müde
geworden ist die Scheren zu schwingen. 
Ja, Quidi macht keine halben Sachen.


 

 

 

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Quidi erzählt

© Sanguis Draconis 26.03.2003

 Hallo Sie,

Sie kennen mich ja schon aus der letzten Erzählung von meinem „Träger“ , dem Wolf. Ich nenne ihn so, ganz einfach, weil er mich immer mit sich rumträgt. Wenn also im folgenden Text die Rede von meinem „Träger“ ist, wissen Sie , wer gemeint ist.
Da ich hier ja alles, was er so treibt, haarklein und unmittelbar mitbekomme, möchte ich zu seinen Gedankengängen, in denen er mich erwähnt hat, einiges anmerken.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, entweder mag er mich nicht besonders, oder er versucht, mich kräftig zu verarschen. Ich kenne doch seine manchmal beißende Ironie. Ich hatte ja damals an dem Tag meine Geburtstagsparty, da kam ich nicht dazu, sofort in sein Geschreibsel einzugreifen, das wird hiermit richtiggestellt.

Also, zuerst mal möchte ich meinen Träger loben (man muss ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen) : Den Namen, den er mir gegeben hat, finde ich sehr passend, ja direkt kreativ.
Dass ich ein Dienstleistungsunternehmen habe, stimmt auch, aber wie kommt er bloß auf den abstrusen Gedanken, ich würde Schnittmusterbögen anfertigen?? Und dann auch noch „irre“??
Das finde ich jetzt gar nicht nett. Ich bin doch kein simpler Schneider ! Nein, meine Dienstleistung geht eher in den künstlerisch- chirurgisch-entsorgenden Bereich. Dafür habe ich lange studiert, als mein Träger noch jung war. Auch heute bilde ich mich gewissenhaft weiter: jede Tablette, jeder Tropfen Alkohol wird genauestens auf seine Zusammensetzung, seine Informationen und seine Wertigkeit von mir geprüft.

In meinem Auffanglager, auch Magen genannt, wird alles schön säuberlich sortiert, verteilt und katalogisiert. Da bin ich sehr genau , gerade was die beiden oben genannten Arten von Nachschub angeht. Der Rest wird von einfachen Hilfskräften weiterverarbeitet, die zu ihrer Tätigkeit kein Studium brauchen. Mit modernster Technik wird das von mir benötigte Material dann zu den Vitrinen, (bei Ihnen Gehirnzellen genannt) gebracht und von mir darin aufs sorgfältigste in`s beste Licht gerückt.
Gar mancher Besucher der Vorstandsetage war begeistert von so schönem, umfangreichen Ausstellungsmaterial. Dies ist also der Teil meiner künstlerischen Tätigkeit. Ich würde es auch als Hobby bezeichnen, denn dieser Teil meiner Arbeit ist leicht und macht mir großen Spaß.

Meine Hauptaufgabe ist jedoch der chirurgisch-entsorgende Teil. Da wird es schon schwieriger. Stellen Sie sich bitte vor, in dieser Firma, bei Ihnen Gehirn genannt, gibt es kilometerlange Flure, Millionen Abzweigungen; unzählige Räume; Kammern,(auch verstaubte Besenkammern); tausenderlei Ein- und Ausgänge; Milliarden Rohre: dicke, dünne, schiefe, krumme, geborstene; fast ebenso viele Anschlüsse, Hähne, Verteilanlagen.
Um sich hier zurechtzufinden und den Gesamtüberblick zu behalten ist schon hierzu ein Studium des Firmengeländes unerlässlich. Milliarden überbezahlte Hilfskräfte wuseln um mich herum. Das nervt ganz gewaltig, kann ich ihnen sagen. Ich bemühe mich vorrangig, die seit Jahren immer wieder regelmäßig dezimierte Belegschaft weiter abzubauen. Viele von ihnen sind unnnütz und verursachen nur Kosten. Das mag in Ihren Ohren hart klingen, aber für ein straff geführtes Unternehmen ist es Grundlage der Wirtschaftlichkeit.

Meine Aufgabe als Chef der Firma ist es nun, in diesem riesigen Firmengebäude auf Inspektionstour zu gehen, und festzustellen, wo sich Überflüssiges befindet. Meistens finde ich zahlreiche Rohre, die ganz sicher nicht mehr benötigt werden. Ich befestige an jedem Rohrende einen Verschluss, und entferne das dazwischenliegende Rohrstück komplett. An der frischen Verschlussstelle kann es natürlich vorkommen, dass noch etwas Flüssigkeit austritt, aber das ist ganz normal. Es dauert eben seine Zeit, bis sich der Druck in den Rohren anders verteilt.
Falls mein Träger dadurch Unannehmlichkeiten verspüren sollte, tut mir dies ein wenig leid, aber sie wissen ja: Schnaps ist Schnaps, und bei der gewissenhaften Arbeit hört die Freundschaft auf.

Böse Zungen behaupten jetzt wieder, ich entferne auch manchmal noch intakte Rohre. Dabei handelt es sich jedoch ganz klar um üble Nachrede. Ich kann von mir stolz behaupten, ich bin ein Meister meines Fachs und mein Träger hat Ihnen ja schon bestätigt:

Ich mache keine halben Sachen.


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Quidi auf Inspektionsrundgang

© Sanguis Draconis 22.04.2003

 

Hallo Sie,

ich muss meinem Ärger jetzt mal Luft machen. Immer ständig diese Querelen mit meinem Träger. Dabei mache ich, wie sie bereits wissen, nur meine Arbeit.

Mein Arbeitstag beginnt sehr früh. Als Unternehmer kann man nicht früh genug auf dem Posten sein. Nun, es ist gerade 4 Uhr morgens, die ideale Zeit, fröhlich mit der Arbeit zu beginnen. Begleiten sie mich doch mal auf meinem Rundgang.

Gleich hinter den schönen Zimmern der Vorstandsetage beginnt schon das Chaos: unzählige leere Büroräume der früheren Angestellten liegen auf diesem Flur. Da muss ich gleich mit ordnender Hand eingreifen und ein paar Türen dauerhaft versiegeln. Ist ja sowieso kein Bedarf mehr dafür, in den Zimmern hängen höchstens noch ein paar Spinnweben rum. Also, mal sehen, Büro Nr 100 150 445 297 bis Büro Nr 100 150 445 311; früher die Verwaltung der Gedankengänge für den Job als Rausschmeißer in diesem obskuren Schuppen vor vielen Jahren. Na ja, die Gedanken waren eh nicht so vielfältig. Wenn man sich mal vorstellt: 15 Büros für die Verwaltung dieser kümmerlichen Gedankenausbeute damals. Da wundert mich nicht, dass bei der Schließung dieser Abteilung durch meine Wenigkeit nur ein paar verstaubte Akten übrig blieben, Futter für den Reißwolf.

So, flugs das Schweißgerät angesteckt und die Türen endlich ganz versiegelt.

Hoppla, jetzt rumpelts wieder. Mein Träger dreht sich um im Schlaf. Jetzt hätte ich beinahe das Schweißgerät fallen lassen. Etwas Kühlflüssigkeit läuft jetzt wieder aus der Nase. Ich hör jetzt schon wieder die Beschwerden durch meinen Träger.

So, geschafft ! Weiter geht’s !

Ah, sieh da, das Büro zuständig für die Erinnerungen vom 18. August 1974. Ich glaube, Sie stimmen mit mir überein, Erinnerungen an den 10. Geburtstag braucht ein erwachsener Mensch nicht ein Leben lang mit sich rumschleppen. Unnützer Ballast ! Kucken wir mal rein:

-Klopf, klopf-

"Guten Morgen, dieses Büro wird hiermit offiziell aufgelöst. Packen Sie bitte ihre persönlichen Sachen und räumen sie das Büro sofort. Von meiner Sekretärin bekommen sie ihr letztes Gehalt bar ausbezahlt. Danke für ihre Zusammenarbeit."

Sehen Sie, es ist ganz leicht , Kündigungen auszusprechen. Die Büroangestellten sind von meinen Überraschungsaktionen so geplättet, dass bis jetzt noch nie Widerspruch zu hören war.

Sehen wir uns mal die Aktei an.

Ah, damals gabs das vielgeliebte Segelboot als Geburtstagsgeschenk. Und jede Menge Windbeutel mit Erdbeersahnefüllung. Hier im Tagesablauf steht was von einem schönen Tag am Froschtümpel mit dem neuen Boot und einer Prügelei mit dem Nachbarjungen wegen ebendiesem Boot. Tja, ein Schläger war mein Träger immer schon, wie hiermit bewiesen wurde.

Na, sie sehen, Erinnerungen, die echt keiner mehr braucht. Alles Futter für den Reißwolf, wie schon so oft. Wen kümmert ein längst zerbrochenes Segelboot und ein Tag am Froschtümpel?

Ich habe bereits über Funk die Umzugshelfer angefordert. Sie räumen jetzt die Möbel aus diesem Büro, dann kann ich die Tür versiegeln. So was, die Heizung läuft ja noch. Schnell abdrehen und zuschweißen, dann ist schon wieder was eingespart.

Oh, verflixt, ich bin beim Verschweißen etwas an die Wand gekommen, jetzt ist mein Träger wach. Das mag ich gar nicht, wenn er über meiner Arbeit aufwacht, da hagelts immer sofort Proteste. Aber momentan hustet er mal wieder die rote Kühlflüssigkeit gegen die Wand. Ich kann das Gezeter jetzt schon hören. Was kann ich dafür, wenn er einen Hustenanfall bekommt.

So, jetzt mach ich erst mal Frühstückspause, bis die Wogen sich geglättet haben, sprich, bis sich mein Träger wieder etwas beruhigt hat. Bei dem Gehuste kann man ja durch die Erschütterungen nicht vernünftig arbeiten.

Sie sehen, mein Arbeitsablauf gestaltet sich oft als schwierig.

Würde mich freuen, wenn Sie nachher wieder dabei wären beim Inspektionsrundgang.

Ich möchte ihnen doch meinen Wahlspruch beweisen:

 

Ich mache keine halben Sachen!

 

 

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Quidi, der Held

© Sanguis Draconis  10.07.2003

„Ah, Sie sind es, kommen Sie rein, kommen Sie rein!“

Ich bin gerade auf dem Weg zur neuen Inspektion. Ich muß nur noch mein Werkzeug rauskramen, dann geht’s auch schon los. Doch halt, die Akte mit den neuen Kündigungen hätte ich fast vergessen. Ziehen Sie bitte diesen Mantel an und setzen Sie diesen Schutzhelm auf, Sie werden beides heute dringend brauchen.Ich habe vor, den hintersten Gängen in der Firma einen Besuch abzustatten, um mal in diesen verstaubten Büros klarschiff zu machen.

Hopperla, mein Träger dreht sich grad im Schlaf um, da fliegt wieder alles vom Schreibtisch.

„Haben Sie sich weh getan? Nein? Gut!“

Na, jetzt sind wir ja schon `ne Weile unterwegs. Ich darf gar nicht nach links und rechts schauen. Was es da alles stillzulegen und zu verschweißen gäbe. Aber wenn ich heute hier schon anfange, kommen wir nicht weit.

Ah, so langsam dringen wir in den Bürobereich vor, den ich gemeint habe. Stoßen Sie sich nicht den Kopf an dieser vorstehenden Leitung. Also, das muss ich jetzt schnell reparieren, da komm ich nicht dran vorbei. Mal auf den Plan schauen, für was diese Leitung gut war.
Aha, sie hat mal die Erinnerungen an ein Mädel namens Annika versorgt. Nun, zu der war er eh` eklig und hat sie vergrault. Sie war die Freundin seines besten Freundes. Diese Erinnerung ist so alt, peinlich und unbrauchbar, also, weg damit!
Ich trenne jetzt die Leitung mit dem Schneidbrenner durch, und setze an den entstehenden Öffnungen in der Wand jeweils einen Deckel ein. Aber das Procedere kennen Sie ja schon.

Fz z z z z z z z z z z z z z z z

Schon erledigt. War doch flott, nicht wahr? Sackzement aber auch! Jetzt fängt mein Träger an zu husten. Halten Sie sich gut fest, sonst werden Sie in hohem Bogen rausgehustet.

So, jetzt schläft er weiter. Sagen Sie mal, hören Sie das auch? Hier ist doch irgendwo ein Tumult. Die Angestellten quatschen wahrscheinlich wieder, anstatt zu arbeiten. Mal sehen, was da los ist. Der Lärm kommt vom großen Hauptschacht vorne.

Was zum Henker ist hier los?? He Sie, was stehen Sie hier alle rum, anstatt zu arbeiten??

„ Weh, der Sohn von Fräulein Ach ist in den Hauptschacht gestürzt, und rutscht langsam aber sicher in`s große Pumpenwerk. Spätestens in der zweiten Pumpstation wird er zermalmt.“

„Hm, eigentlich wollte ich die beiden entlassen, aber das kann ja wohl nicht sein! Ein Unfall mit Todesfolge in der eigenen Firma?
Leute, bringt mir die reißfesteste Rettungsleine, die ihr auftreiben könnt, schnell, schnell!“

„Hier, Chef, `ne Sehne aus dem linken Oberarm. Sehr strapazierfähig und absolut reißfest!“

„Ah, danke! Schnell, helfen Sie mir, mir das Ding um den Bauch zu binden. Machen sie die Sehne hinten an den Verstrebungen zum Hauptpumpwerk fest und dann: alles zurücktreten.“

So, ich lasse mich jetzt in den Schacht runter. Mensch, ist das hier düster! Zum Glück habe ich eine gute Lampe am Helm. Die Pumpenkühlflüssigkeit ist verdammt glitschig.
Sackzement, jetzt bin ich schon drei Stockwerke tiefer, aber immer noch nix von dem Jungen zu sehen. Halt, Moment, da unten! Höchste Zeit jetzt, der Junge ist fast an der Schleusenkammer angelangt. Mist, jetzt ist er drin! Ich muß hinterher.
Ganz schön eng hier in der ersten Pumpstation. Ah, da ist der Junge!
„Sooooooooo, noch ein Stück.......hab dich!“
Puh, jetzt müssen wir irgendwie den Rückweg schaffen.

Holla, ich denk mal, jetzt hat mein Träger Herzkammerflimmern. Er dreht sich wie wild um. Wie günstig! Die Schleuse steht weit offen!

„Schnell Junge, kletter auf meinen Rücken, und dann nix wie raus hier!“

Wie gut, dass ich bestens trainiert und bei Kräften bin. Ach, ist das trotzdem ein Schlauch, den ganzen Weg zurück an der Sehne gegen den Pumpstrom wieder hoch zu klettern.

„So Junge, da sind wir wieder. Hier, lauf zu deiner Mutter und wasch dir die Schmiere vom Körper, sonst kannst du nicht ordentlich arbeiten.
Und ihr, Leute, steht nicht rum und haltet Maulaffen feil! Hopp, hopp, an die Arbeit!“

Ah, Sie sind auch noch da, wie ich sehe. Na, so stressig geht’s hier eher selten zu. Was wollte ich eigentlich hier? Ach ja, die Entlassungen. Na, Fräulein Ach und ihren Sohn Weh schmeiß` ich nach diesem Schrecken noch nicht gleich raus. Außerdem hat mein Träger jetzt `ne Weile genug zu bewältigen: das Ende der Rettungsleine steckt immer noch in der ersten Pumpstation. Das wird ihm `ne zeitlang ganz schön Unbehagen bereiten, bis sie sich langsam auflöst.
Will ich mal nicht so sein, bevor er mir sonst `nen ganzen Herzinfarkt bekommt, lass ich ihn erst mal etwas in Ruhe.
Außerdem gefällt`s mir, wenn mich die Angestellten einen Helden nennen.

Wenn ich die nächste Inspektion mache, sage ich Ihnen vorher Bescheid, dann können Sie mich wieder begleiten.

 

 

 

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Quidi´s neues Personal

© Sanguis Draconis  05.02.2004

 

"Ah, hallo, Sie sind es! Ich hoffe, es geht ihnen gut! Freut mich, dass sie wieder bei mir reinschauen!"

Quidi, der ungekrönte König und Vorstandschef meiner Denk-und Handel-AG schaut von seinem Schreibtisch auf. Er nickt dem Besuch freundlich zu.

"Heute ist ein denkwürdiger Tag: ich stelle tatsächlich neues Personal ein. Ja, Sie haben schon richtig gehört. Ich habe lange Zeit mit mir gerungen wegen dieser Neuausgaben, die auf die Firma zukommen, aber nach mehrmaligem Durchrechnen der Fixkosten bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es sich lohnt. Ich habe bei der renommierten Firma Neider und Hammel zwei ausgezeichnete Kräfte anwerben können. Sie haben sich schon vielfach bewährt im Einsatz bei Bankdirektoren und anderen Wirtschaftsmagnaten, ich denke also, für meine AG sind sie genau die richtigen Kräfte.

Es ist 9 Uhr, sie müssten eigentlich............ ah ja, da sind sie ja, ich habe sie hier auf dem Monitor. Sie werden gleich hier in der Vorstandsetage sein. Sie , verehrter Besuch können gerne da bleiben und den Verhandlungen beiwohnen."

Quidi rückt seine Scheren zurecht, ordnet die Stifte auf seinem Schreibtisch und wartet ab, bis seine Sekretärin die Ankömmlinge hereinlässt.

"Guten Tag meine Herren, schön, dass sie da sind" begrüßt Quidi die beiden. Er deutet auf zwei Besucherstühle vor seinem Schreibtisch.

"Nehmen Sie Platz bitteschön."

"Meine Herren Neid und Hass – ich darf Sie doch mit Ihrem Nicknamen so anreden – sie werden dringend hier benötigt, um meine leidigen Personalüberschussprobleme zu regulieren. Sie haben sicher schon so eine Art "Schlachtplan" mitgebracht?"

"Aber natürlich, Herr Quidi, alles schon ausgearbeitet mit feinsten Rafinessen." erwidert der eine von beiden.

"Ich stelle ihnen mal unser Konzept vor: Fakt ist ja, dass sie Personal abbauen möchten aber dem Personal keine Abfindungen zahlen wollen, andererseits durch den Personalabbau bedingt die Erinnerungen ihres Standortvermieters verringern möchten. Wir gehen vor wie folgt: Sie stellen uns als harmlose Mitarbeiter ein. Es wird uns ein Leichtes sein, uns mit der Belegschaft gut zu stellen und so das Vertrauen derselben zu gewinnen. Ist dieses geschehen, tritt Plan B in Kraft. Darin werden wir unter der Belegschaft heftigen Neid erzeugen aufeinander. Das ist mein spezielles Sachgebiet" sagte der Neid und streckte stolz seinen Oberkörper vor. "Ein paar kleine Gerüchte von mir genau platziert, und ihre Mitarbeiter werden "ergrünen" vor Neid aufeinander", gluckste der Neid mit dreckigem Lachen.

"Außerdem hat diese Methode noch einen großen Vorteil: Der Neid in ihrer Firma überträgt sich direkt auf Ihren Herrn Vermieter, der Blutdruck steigt in ungeahnte Höhen, Kühlaggregate werden somit überhitzt und es verschmelzen ein paar von den Leitungen, die sie immer höchstpersönlich in mühevoller Kleinarbeit verschweißen müssen, ganz von selber."

"Danach trete ich in Aktion" meinte der Hass. "Darin macht mir keiner etwas vor. Alles sogar schon kriegserprobt. Wenn der Hass unter der Belegschaft einmal erst ausgebrochen ist, werden die Leute Fehler machen. Sie haben dann gute Gründe Entlassungen auszusprechen. In Sternstunden meines Schaffens habe ich es sogar erreicht, dass sich die betroffenen Personen selbst bis zum Tod bekämpft haben. Das erspart zusätzliche Kosten wie die Endreinigung und das Versiegeln der verlassenen Büros, denn in solchen Fällen springt die Versicherung ein." erklärte der Hass dem staunenden Quidi.

"Auch hier wieder der Kostenfaktor gleich Null mit dem Ergebnis, dass diese ungeliebten alten Erinnerungsbüros endlich der Vergangenheit angehören, Sie keinerlei Arbeit mit ihrer Schließung haben, ja sogar neuere Erinnerungsbüros verdampfen werden im Schlunde des Hasses ."

Hass und Neid schauten sich böse grinsend an:

"Sie sehen, mein Herr, wir machen keine halben Sachen"

Quidi dachte bei sich: "fähige Leute, werde ich einstellen, und nachher, im Lohnverweigern mache ich auch keine halben Sachen".

 

 

 

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Alpha und Omega

 

A und W

© Sanguis Draconis  26.08.2003

Wenn das Universum den letzten Todesschrei auf diesem Planeten vernommen hat, werden mächtige Gesandte kopfschüttelnd durch die graue Asche wandern.

Sie werden ihre Hände bis zu den Handgelenken eintauchen in diese schmierige Schicht und die Asche prüfen.

In ihrem Geist werden Bilder entstehen, von Menschen, die in ihren letzten Stunden alles das, was noch über war an Menschlichkeit, ablegten. Menschen, die ausgezehrt und ausgetrocknet als lebende Leichname schlangengleich über den dürren Boden krochen, in der Hoffnung, irgendwo noch etwas Wasser , ein wenig Leben zu finden, nachdem die Flüsse, Seen und Meere verdampft waren.

Sie werden spüren, wie diese letzten Fossilien der Gattung Mensch sich mit ihrer allerletzten Kraft aufeinander warfen, um sich mit ihren hautlosen Krallenhänden gegenseitig das magere Fleisch aufzureißen , um an das letzte Nass dieser Welt zu gelangen: das Blut ihrer Mitsterbenden. Menschen, die nichts mehr gefunden hatten als roten Staub und einen qualvollen Tod bei ihrer letzten Suche.

Sie werden Visionen haben von einem seltsam schönen blauen Planeten, der jetzt nur noch rot und tot ist, und in derselben feindlichen Sonne verglüht, die früher einmal sein guter Freund war.

Von irgendwo her werden sie ein Rascheln hören. Das letzte Geräusch, das auf dieser Welt noch zu hören ist.
Eine riesige Schlange wird aus dem verkohlten Gerippe eines verbrannten Waldes gekrochen kommen. Diese mächtigen Gesandten werden sich mühelos mit dieser Schlange verständigen können, denn sie sprechen die gemeinsame Ursprache.

Und die Schlange wird sagen:

"Was habt ihr erwartet?
Es ist ein würdiges Ende.
Durch mich hat es begonnen,
durch mich hat es geendet.

Ich bin Alpha und Omega!"

 

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Maximilian und Isabella


©  Sanguis Draconis 03.11.2033

„Hallo Isabella“ sagte Maximilian ganz leise.
Isabella war irritiert. Diese Stimme? Woher kannte sie diese Stimme? Sie dachte nach und plötzlich stieg eine Erinnerung in ihr auf an Zeiten, die schon lange Jahre der Vergangenheit angehörten.
Diese Stimme gehörte Max. Max, der immer bei anderen Wert darauf gelegt hatte, Maxilmilian genannt zu werden, wegen seiner Größe und Stärke. Max, der ihr Vertrauter war, ihr Freund, ihr Geliebter, den nur sie allein „Max“ hatte nennen dürfen. Maxilmilian, der große, mächtige Schrank aus Eichenholz, und sie, Isabella, eine kleine Kommode mit einer Tür und 3 Schubladen, aber immerhin aus dem selben Eichenstamm wie Max gefertigt. Einst standen sie einträchtig nebeneinander im Zimmer eines kleinen Jungen. Sie waren beide voll von Kinderspielzeug und kleinen Klamotten. Alles bunt durcheinander gemixt.
 
„Hallo Max“ hauchte Isabella mit bebender Stimme.
“Wie ist es dir ergangen in den letzten Jahren? Du siehst so anders aus, deswegen habe ich dich nicht gleich erkannt.“

„Ach Isabella, es war ein langer und schmerzhafter Weg bis hierher. Du aber siehst heute noch unverändert schön aus, meine Geliebte. Ich habe mir jetzt längere Zeit überlegt, ob ich dich überhaupt ansprechen soll, hab es aber dann doch gewagt.“

„Na, zum Glück hast du es getan, mein Lieber!“ flüsterte Isabella tief bewegt. „Erzähl doch, was ist passiert. Du siehst, entschuldige bitte, so klein aus. Ich habe dich viel größer in Erinnerung.“

„Ach Schatz,“ seufzte Maximilian „ wir wurden ja vor über 20 Jahren von den Eltern unseres Besitzers bei einem Umzug getrennt. Du warst plötzlich weg, ich war ganz verzweifelt, als ich in der neuen Wohnung aufgestellt wurde und du nicht dein Plätzchen neben mir bekamst. Wo warst du nur in all der Zeit?“

„Ich bin auf dem Speicher gelandet. Als Abstellkommode für all den alten Plunder, den die Menschen nicht mehr brauchen, aber doch nicht wegwerfen wollen.“ sagte Isabella leicht verlegen.

„Du bist hübsch, wenn du rot wirst, meine Liebe“ meinte Maximilian mit seinem alten Elan in der Stimme. „dein Teint sieht dann aus wie aus Kirschbaumholz“
„Ich durfte in der neuen Wohnung zumindest im Gästezimmer stehen. Es war natürlich schon ein sozialer Abstieg, hinein in dieses winzige Zimmer, aber immerhin war ich noch in der Wohnung der Menschen. Das tut mir leid für dich, diese ganzen Jahre auf dem dunklen Speicher. Das einzig gute daran ist wohl, dass dein Holz dadurch nicht so durch die Sonne ausgebleicht ist wie bei mir. Da oben muss es im Winter ganz schön kalt sein, oder nicht?“

„Ja, Max, ich habe jeden Winter ganz fürchterlich gefroren. Ich hab mich ganz zusammengezogen. Jedesmal sind die Menschen zur Weihnachtszeit hochgekommen, um den Christbaumschmuck aus meinem Bauch zu holen, und jedesmal haben sie geschimpft über die klemmenden Schubladen. Sie hätten den Schmuck nur im Sommer zu holen brauchen, da hat nirgends was geklemmt. Da brauchte ich mich ja nicht zusammenziehen vor Kälte. Aber jetzt erzähl doch endlich, warum du so klein geworden bist.“

„Nun, vor ein paar Tagen stand ja der nächste Umzug an. Die Menschen haben sich schon wochenlang vorher über mein weiteres Schicksal unterhalten. Sie beschlossen, mich auf die Mülldeponie zu bringen, da ich in die neue Wohnung nicht mit umziehen dürfte. Alles sollte neu eingerichtet werden. Da ist kein Platz mehr für einen wie mich. Unmodern sei ich! Mein Holz nicht mehr schön! Ist doch kein Wunder, wenn der Kleine Junge damals Bilder in mich hineingeschnitzt hat.“ empörte sich Max. „Zum Glück sind diese Narben nur auf der Innenseite der Türen, sonst hätte ich den Umzug ins Gästezimmer vor 20 Jahren ja schon nicht mehr erlebt.“

„Ach Schatz“, seufzte Isabella, „Für mich warst du immer schön. Egal wie viele Narben du hast“

Max stiegen die Tränen auf bei Isabellas Worten. Er schluckte kräftig und erzählte weiter.
„Der kleine Junge ist ja inzwischen schon lang erwachsen und irgendwie scheint er an mir zu hängen. Kurz vor dem Abtransport auf die Müllkippe ging mitten in der Nacht das Licht an und er stand vor mir.
Er betrachtete mich lange, nahm meine Maße wieder und wieder mit einem Zollstock ab, streichelte mir über meine Außenseite, machte die Türen zum Aufsatz auf und zu und sagte plötzlich wie zu sich selber: ja genau, so geht’s!
Am nächsten Tag wurde ich in meine Einzelteile zerlegt und dachte schon, mein letztes Stündlein hat jetzt geschlagen. Die Außenseiten wurden auf eine Holzbank gelegt und ich spürte plötzlich ein Kitzeln daran. Aus dem Kitzeln wurde ein unerträglicher Schmerz, als sich die Säge durch mein Holz fraß. Es war bald vorbei und mir wurde „oben herum“ so leicht ums Haupt. Mein Besitzer hatte kurzerhand die Höhe des Schrankaufsatzes abgesägt, so dass ich jetzt zwar kleiner an Gestalt, aber immerhin noch als vollwertiger Schrank zu dir hier in diesen niedrigen Raum passe.“

Isabella war entsetzt. Von einer Säge zurechtgestutzt. Der arme Max. Wie musste er gelitten haben. Aber andererseits, durch diese „Behandlung“ war er dem sicheren Tod auf der Müllkippe entronnen und was noch viel mehr zählte, er war hier bei ihr. Sie würde sich schnell an seine neue, kleinere Größe gewöhnen. Er war immerhin ein 3-Türiger Schrank. An seiner respekteinflößenden Breite hatte sich nichts geändert. Jetzt brauchte sie sich auch nicht mehr so zu verrenken, um zu ihm hoch zu schauen. Außerdem stand er praktischerweise genau gegenüber. Ach, wie liebte sie ihren Max.
Max` Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

„Weißt du, meine kleine Isabella, was nach unserem Wiedersehen das Zweitschönste ist: hier im Keller ist es warm, da brauchen wir in den Wintermonaten nicht zu frieren.“

 

 

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Schwerelos

© Sanguis Draconis .2003

Ich denke, ich träume. Kann es sein, dass es ein Wachtraum ist? Die Augen habe ich offen, das steht fest. Es ist nur seltsam, dass alles um mich herum von Traum zu Traum dunkler wird. Ach ja, die Perspektive verändert sich auch jedesmal um eine kleine Winzigkeit. Gestern (?) z.B. war dieser dunkle Pfeiler,den ich immer sehe, eine Nuance weiter entfernt. Wie kann das sein, jede Nacht in Folge den selben Wachtraum zu haben, der sich nur Woche zu Woche verändert, wenn ich ganz genau aufpasse?

Ich fühle mich seltsam, irgendwie schwerelos. Das werden wahrscheinlich Gleichgewichtsstörungen sein. Hm, irgendwie spüre ich die Bettdecke gar nicht, es ist mehr ein Gefühl von sanftem Streicheln, das mich umgibt. He , was ist jetzt los, jemand zupft mir am Kopf herum. Ich bin doch allein hier im Bett.

Bin ich tatsächlich allein? Selbst bei angestrengtem Nachdenken komme ich auf keine rechte Antwort. Mein Bett, wo steht es eigentlich? In welchem Zimmer, in welchem Haus, welcher Stadt?
Ich komme wiederum nur auf gähnende Leere im Hirn.
Jetzt schon wieder dieses Zupfen. Diesmal am Arm. Ich will ihm bewegen, aber er ist wie festgeleimt. Das Zupfen erweist sich bei genauerem Hinspüren als Berührung mit etwas Weichem, wie ein kleiner Mund, der unablässig an meinen kleinen Härchen rupft.

Härchen? Irgendwie ist es anders ! Der kleine Mund zieht die Härchen ganz einfach heraus, ohne Schmerz. Ja, irgendwie ist es mir sogar egal. Was waren meine Gedanken gerade noch? Ich kann mich schon wieder nicht mehr erinnern.

Mir wird kalt im Bett. Im Bett? Komischerweise ist es ein schleichender Prozess. Bin ich jetzt wach oder nicht? Es wird etwas ungemütlich mit der zunehmenden Kälte.
Dieses Gefühl hatte ich doch schon mal. Angestrengt denke ich nach. Ja, dieses Gefühl hatte ich sogar viele male schon. Irgendwann wurde es immer wieder wärmer.
Nur diese zunehmende Dunkelheit macht mir Sorge.

Sorgen? Was ist das? Ein abstrakter Begriff. Ich kann damit nichts mehr anfangen.
Erinner` dich, erinner` dich, sage ich zu mir selber. Wer bin ich? Verdammt, wie ist mein Name?

Heute will ich es wissen. Am linken Auge sehe ich überhaupt nichts mehr, das rechte ist halb zugewachsen.

Zugewachsen? Mit was? Ich bin ratlos.

Denken, denken, denken.....

Das Wasser wird wärmer. Oh, der Pfeiler ist nun ganz nah. Es ist ein Pfeiler von einem großen Landungssteg, wie ich mit dem offenen Rest meines rechten Auges im aufblitzenden Sonnenlicht deutlich erkennen kann. Vor diesem Auge treibt langsam in der Strömung ein kleiner Algenfaden hin und her.

Urplötzlich erinnere mich.

Ein Handgemenge oben am Steg. Ein Kampf. Jemand wirft mich ins Wasser. Ich versinke. Habe Wasser in den Lungen. Mit dem letzten Atemzug schwöre ich: ich
werde wiederkommen und dich töten.

Wen töten? Es ist mir nun egal ! Ich beginne zu verstehen: ich kann nicht sterben durch diesen Schwur. Über die langen Jahre, die ich hier unten liege, hat der Überrest meines Körpers Algen und Muscheln angesetzt. Ich wachse SELBER jedes Jahr auf diesen Pfeiler zu. Deshalb kommt alles immer etwas näher. Deswegen dieses Zupfen am Arm. Am Arm? welchem Arm? Die Fische weiden die Algen ab.

Noch während die Gedanken wieder verschwimmen verschließt sich auch der letzte Spalt meines noch freien Auges mit Algen.
Auge?
Welches Auge?
Was ist ein Auge?
Was ist.......................

 


©  Sanguis Draconis


 

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Gedanken eines einfachen Mannes

©  Sanguis Draconis 17.03.2004

 

Warum ich? Verdammt noch mal, und ich schleudere dir die Worte bewusst an den Kopf, verdammt noch mal, warum ich? Was bezweckst du damit? Glaubst du, es wird sich irgendetwas ändern? Sie werden weiter saufen, huren, fremdgehen, lügen, töten. Ist es alles nur wegen diesem neuen Kult, den du lostreten willst? Dass sie dir folgen in Massen? Dass sie andere verdrängen und nur dich lieben? Dafür hab ich geblutet, dafür hab ich gelitten, dafür bin ich jetzt schon durch die Hölle gegangen. Dass sich nichts, aber auch gar nichts ändert. Mein Blut ist genauso rot wie ihres, meine Schmerzen sind genauso groß wie ihre, mein Tod ist genauso qualvoll wie der meines Nachbarn es sein wird. Vielleicht noch schmerzhafter wegen dieser verdammten Nägeln in meinem Fleisch. Was war deine Grundidee zu all dem hier? Und warum, verdammt noch mal, warum ich?? Du hättest die Auswahl gehabt in all den Millionen sterblichen Menschen. Warum konntest du mich nicht einfach Kind und dann Mann sein lassen, wie alle anderen auch? Millionen anderer Fanatiker wären stolz drauf, dein Sohn zu sein, weißt du das? Warum diese besonderen Gaben, die nur die ernst nehmen, die sie erfahren haben? Und warum hast du mir die Liebe zu dir gegeben, durch die und mit der ich all das hier erleide? Ist es noch Liebe? Soll ich sagen: Dummheit! Abhängigkeit! Hörigkeit! Jetzt schon vor meinem Tod beginne ich diese Sünden zu spüren, wegen denen ich hier sterben soll. Alle Sünden dieser verdammten Welt. Ich höre sie, ich sehe sie in meinem Herzen. Sie sind in meinem Kopf, in meinem Herzen, in meiner Seele. Sie sind grausam und erdrückend. Sie sind bitter und abgrundtief. Sie sind qualvoll und übermächtig. Keines Menschen Wort kann das aussprechen, was ich jetzt schon fühle. Sie zermartern mir mein Hirn, meine Eingeweide, meine Seele. Sie verdrehen mein Sein ins Unmenschliche. Ist das dann das göttliche, oder was? Warum lässt du meine Seele sterben? Nur damit sie wiedergeboren wird? Warum, zum Teufel lässt du es zu??
Weißt du, was es heißt, alle Sünden dieser Welt zu spüren?“

„Ja, mein Sohn, ich weiß es. Genau deswegen muss der Gehorsam, die Verbundenheit, die Nähe, die Auflehnung, die Trauer und der Hass, eben alles , was die Liebe ausmacht, sterben, um neu erstehen zu können. So erkenne es, mein Sohn, DU bist die reine Liebe.“

 

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Barling, Eleonore und die Monster


©  Sanguis Draconis 13.06.2004

Folgende Geschichte dreht sich um einen kleinen Holzwurm, der zum Maskottchen der "Schreibbar" geworden ist. Dort ist er jetzt natürlich ein Bücherwurm. Wie´s dazu gekommen ist, lest ihr im folgenden.

 

In einem großen alten Schrank am Dachboden eines Einfamilienhäuschens wohnte Barling.
Er war ein junger Holzwurm, von recht ansehnlicher Gestalt, aber sehr schüchtern. Zumindest wirkte er so auf seine Umgebung, denn er lebte seit jeher sehr zurückgezogen von der Holzwurmgemeinde im hintersten Winkel des großen Schrankes in Gang Nummer 1313. Manche seiner Artgenossen hielten ihn deswegen sogar für arrogant. Ja und sehr viele hielten ihn schlicht für absonderlich und nicht sehr helle im Oberstübchen, denn er konnte noch nicht mal lesen. Diese Tatsache hatte ihm so manchen Spott eingehandelt und sein eh schon schwaches Selbstbewusstsein noch zusätzlich gemindert.

Barling hielt eines Tages diese ganzen Sticheleien nicht mehr aus und machte sich unter Aufbietung seines ganzen restlichen Willens mitten in der Nacht auf den Weg, um endlich von dieser ungeliebten Umgebung fort zu kommen. Er schnürte ein kleines rotes Bündelchen mit dem Nötigsten, was ein junger Holzwurm so braucht und machte sich heimlich auf und davon durch den Nebel, der, seit er denken konnte, auf seiner Umgebung lastete, um sein Glück zu finden.

Am Ende von Gang 1313 angekommen, steckte er sehr vorsichtig sein Köpfchen durch das Tunnelende in die große weite Welt. Er hatte von seinen Nachbarn gehört, dass hinter den Holzwänden, die Wurmhausen beherbergten, das namenlose Grauen herrschen sollte. Man hörte ja nur immer wieder vom Hörensagen von den schlimmen Monstern, die es hier geben sollte. Keiner, der sie wirklich aus nächster Nähe gesehen hatte, war lebendig zurückgekehrt. Man stelle sich vor: Keiner! Nicht ein Einziger! Gerüchte gingen um über die Größe der Monster. Sie sollten viele male größer sein wie einer ihrer Gattung, und sie sollten auf mehreren Beinen balancieren, die so lang sein sollten, dass man die Körper nur noch sehen könnte, wenn man den Kopf ganz in den Nacken legte.

Barling sah nur den immerwährenden Nebel vor Augen und die finsterste Schwärze, die er jemals gesehen hatte. Aber er hörte dafür umso besser ein Geräusch. Es war wie ein Tippeln von vielen Füßen. Ja, Holzwürmer haben ein erstaunliches Hörvermögen. Barling war sich klar, dass irgendetwas schnell näher kam. Er musste blitzschnell eine Entscheidung treffen: entweder, er zog sich wieder in den Gang 1313 zurück, und verbrachte in Hohn und Spott sein Leben, oder er ließ sich einfach, bevor das Monster heran war, in die schwarze unbekannte Tiefe fallen. Und Barling traf seine Entscheidung: er wand sich aus Gang 1313 heraus, hielt sein Bündelchen fest umklammert und plumpste kopfüber in eine andere Welt hinein.

Etwas später kam unser Würmchen wieder zu sich. Er war weich aufgekommen, etwas wie Wolle hatte seinen Sturz gemildert. Barling war mitten in ein Regal mit Bastelsachen gefallen. Alles lag kreuz und quer herum. Barling bemerkte etwas, das war ihm in seinem ganzen Leben noch nie untergekommen: es wurde heller um ihn herum. Die Sonne, die durch ein Fenster im Dachboden schien, ließ ihre Strahlen durch jede Ritze und Fuge, und vor allem durch das große Schlüsselloch kriechen. Barling staunte. Der Nebel um ihn herum war hell geworden. Etwas weiter entfernt sah er etwas aufblinken. Er kroch darauf zu. Es waren zwei klitzekleine, durchsichtige Strasssteinchen. Er hob eines davon auf und beäugte es näher. Dazu hielt er es ganz nahe an sein linkes Auge, um im Nebel etwas erkennen zu können. Doch was war das? Er sah durch dieses Steinchen links seine Umgebung ganz deutlich, während vor dem rechten Auge der Nebel blieb. Er wechselte das Steinchen an das andere Auge und guckte hindurch. Plötzlich auch hier: alles war deutlich zu sehen. Barling jubelte. Er tat es innerlich, also leise, damit er mit seinem Jubel die Monster nicht anzog.

Jetzt guckte er sich vollends um, nahm das zweite Steinchen an sich und bastelte sich mit einem herumliegenden Drahtrest ein Gestell, in das er die beiden Steinchen einpasste und dann das ganze auf seine Nase setzte. Barling hatte die erste Brille für Holzwürmer erfunden. Endlich konnte er sehen ohne den lästigen Nebel vor Augen. Das war es also, das ihn abgehalten hatte lesen zu lernen, das schlechte Sehvermögen. Und alle anderen hatten ihn für dumm in der Birne gehalten. Welch Irrtum ihrerseits. Barling war begeistert. Dennoch hörte er in seiner Begeisterung wieder diese leise Tippeln von unzähligen Füßen. Die Monster kamen! Oh heiliger Holzwurm, wo sollte er sich verstecken? Ein Stück entfernt sah er einen kleinen Spalt im Holz. Er kroch so schnell wie möglich darauf zu und hinein. Atemlos drehte er sich um, um zurück zu sehen. Dort waren sie, die Monster. Keine 20 cm von ihm entfernt. Deutlich konnte er ihre Scheußlichkeit jetzt sehen. Jeder auf 8 endlos langen Beinen, in schwindelnder Höhe ein behaarter Körper. Aus den kleinen Köpfen ragten mörderische Greifzangen hervor. Aber am schlimmsten waren die Augen dieser Kreaturen: mehrfach facettiert, blickten sie unbarmherzig, ja eiskalt umher, wo denn ihr Opfer abgeblieben war. Barling wurde sich nur am Rande bewusst, dass er der erste Holzwurm war, der die Monster gesehen hatte und (noch) lebte.

Plötzlich hinter ihm ein leises Geräusch. Barling fuhr herum. Eines dieser Monster stand hinter ihm und sah ihn an. Er war direkt in die Höhle des „Monsterlöwen“ gelaufen. Barling erstarrte und schloss in diesem Augenblick mit seinem Leben ab. Wie viele Bücher hätte er noch lesen wollen, schoss es ihm noch durch den Kopf, jetzt , da er endlich gut sehen konnte. Das Monster bewegte sich nicht, sah ihn mit seinen kalten Augen an und sprach plötzlich mit ihm.
„Keine Angst Jungchen, ich tu dir nichts! Ich bin sehr froh, einmal Besuch zu haben. Du bist ein junger Holzwurm, nicht wahr? Beachtlich dein Mut, sich hier herein zu trauen. Das hat schon sehr lange Zeit niemand mehr gewagt. Inzwischen bin ich sehr alt geworden. Auf die Jagd gehe ich nur noch selten. Zu deiner Beruhigung, ich habe bereits gefrühstückt. Ach ja, ich vergaß mich vorzustellen, mein Name ist Eleonore. Sehr erfreut , deine Bekanntschaft zu machen.“
Barling war geplättet. Ein freundliches Monster! Er konnte sein Glück noch gar nicht fassen. Je länger er Eleonore anschaute, desto weniger abstoßend kam sie ihm vor.
„Guten Tag, Frau Eleonore“, sagte er ganz artig und machte eine kleine Verbeugung. „Auch mich freut es ganz ungemein, Sie kennen zu lernen.“
Barling zitterte immer noch leicht.
„Frierst du“, fragte Eleonore
„Na ja, etwas ist mir immer kalt am anderen Ende von mir, egal, ob ich erschrocken bin oder nicht“, erwiderte unser tapferer Wurm.
„Da kann ich Abhilfe schaffen“, meinte Eleonore. „Weißt du, aus den gebrauchten Fangnetzen kann man noch einiges hinterher stricken“, sagte sie und holte einen Knäuel feinster Spinnweben samt ihren winzigen Stricknadeln hervor. Während Eleonore unserem Würmchen etwas gegen sein ständiges Frieren strickte, unterhielten sich die beiden recht angeregt. Barling erzählte von seinem Wunsch endlich lesen zu lernen und so viel wie möglich an Wissen zu erlangen. Die Spinnenlady meinte dazu, sie könne ihm nachher dazu einen sehr guten Tip geben.

 


Endlich war Eleonore fertig und hielt Barling ihr Machwerk entgegen. Es war eine rot-weiss geringelte Socke, die er dankbar seinem hinteren Ende überstreifte. Oh, wie war das schön, endlich nicht mehr zu frieren. Er überlegte kurz, woraus wohl die rote Farbe des feinen Gespinstes gemacht war, entschied sich aber dann lieber, nicht so genau danach zu fragen. Er dachte sich, es gibt immer wieder Dinge im Leben, die muss man nicht so genau wissen.
Er bedankte sich überschwänglich bei Eleonore und wollte aufbrechen. Sie hielt ihn noch einmal zurück und übergab ihm noch ein zweites Geschenk: eine kleine rote Fliege.
„Diese Fliege ist von meinem verstorbenen Gatten. Er trug sie immer auf seinen Vorlesungen. Du musst wissen, er war ein bekannter Literaturprofessor an unserer Spinnenuniversität. Leider ist der Gute viel zu früh von mir geschieden. Es war ein bedauerlicher Frühstücksfehler meinerseits“, sagte Eleonore in Erinnerungen versunken zu unserem Würmchen. „Trag du sie ab heute und lerne lesen. Mehre dein Wissen und ehre damit posthum einen bedeutenden Spinnenmann.“
Ergriffen nahm Barling die Fliege an sich und band sie um seinen Hals. Sie passte perfekt. Eleonore sagte zu ihm: „Geh zu dem Fenster, das in die helle Jenseitswelt führt. Dort siehst du gegenüber zwei kleine Löcher in einer Wand. Dahinein schlüpfst du, kriechst immer weiter, ignorierst alles, was dich ablenken könnte, und ich verspreche dir, du wirst im Himmel des Wissens landen.“

Barling tat wie ihm geheissen. Die Monster vor Eleonoras Behausung waren inzwischen weitergezogen. Er kroch zum Schlüsselloch des Schrankes, sah hinaus und entdeckte gegenüber in der Wand tatsächlich zwei kleine runde Löcher. Flugs schob er sich durch das Schlüsselloch hindurch, ließ sich auf den Boden plumpsen und kroch hinüber zur Wand. Dort angekommen legte er den Kopf in den Nacken, so dass die kleine rote Fliege weit abstand, und dachte sich, ja, welches Loch hat sie nun gemeint? Das linke oder das rechte? Er kam zu dem Schluss, dass es sicher egal sei, erklomm mit Mühe die Wand, (sein Bündelchen musste er natürlich zurück lassen bei dieser Kletterei), und schlüpfte in eines der Löcher. Es war ein schmaler Gang und in diesem kroch er frohgemut weiter.

Er kroch und kroch und kroch, hatte jedes Zeitgefühl schon lange verloren, als der Gang immer schmäler und schmäler wurde. Um ihn herum begann die Luft zu vibrieren. Seine kleinen Härchen stellten sich auf, die ganze Umgebung schien mit einem Mal zu singen. Es war ein sehr hoher Ton, gerade noch wahr zu nehmen. Strömungen unbekannter Herkunft kitzelten ihn an Körper und Nase. Er musste immer wieder niesen. Je mehr er das tat, desto stärker wurde das Kribbeln um ihn herum, bis es schließlich ganz in seinen Körper drang. Barling fühlte sich frei und leicht, richtig schwerelos. Es war ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Ihm wurde nicht mehr bewusst, dass er immer noch automatisch weiter kroch. Seine Gedanken galten Büchern, Büchern, Büchern. Plötzlich ein helles Aufblitzen. Barling war eingehüllt in gleißendes Licht. Dieses Licht pulsierte eine kleine Weile und erlosch dann. Der Gang war leer, Kein Barling mehr zu sehen, nicht der kleinste Rest von ihm. Der geneigte Leser fragt sich natürlich: ja wo ist er denn hin verschwunden, der kleine Holzwurm mit Brille, roter Fliege und Ringelsocke? Die Antwort ist ganz einfach: Man sehe im Internet in die „Schreibbar“, dorthin hat es ihn Kraft seiner Wünsche und Gedanken verschlagen. Dort konnte er endlich lesen lernen und dieser Leidenschaft unbegrenzt frönen, denn dort gibt es viele andere , die zusammen mit ihm dieses Hobby teilen. Auf welcher Seite des Bildschirms sie sitzen, ist eher unerheblich.

 


 

 

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 Kampf mit dem Käsekuchen

©  Sanguis Draconis 2005

Ich hatte es ausgesprochen. Das, was ich niemals dachte aussprechen zu können, eine Einladung in meine neue Wohnung, und das zu einem Paar mit zwei Kids.

Aber nun war es eben so, morgen wollten sie alle kommen. Ich machte mir Gedanken über den Ablauf des Nachmittags. Das Mittagessen sollte außerhalb stattfinden in einem guten Lokal und den Kaffee sollte es dann bei mir geben. Ich überschlug die Preise der Tortenstücke im Caffeehaus und kam mit mir selber überein, dass es viel billiger war, einen Kuchen selber zu backen, als wie Unmengen von Tortenstücken heim zu schleppen, denn ich wusste um die Gefräßigkeit meines Freundes und seiner Kids. Die Ehefrau konnte ich nicht so genau einschätzen, aber man will sich ja auch nicht blamieren mit zu wenig Angebot. Abgesehen davon bin ich in Sachen Kuchen auch kein Kostverächter und so stand der Wille zum Selberbacken am Anfang von Geschehnissen, die ein nettes Eigenleben entwickelten.

Ich durchforstete erst mal die handgeschriebenen Rezepte meiner Frau, die nach all den langen Jahren nach ihrem Tod noch immer unberührt in den jeweiligen Backbüchern lagen, von denen ich mich auch bei inzwischen zweimaligem Umziehen nicht hatte trennen können. Ich muss an dieser Stelle vorausschicken, ich koche für mein Leben gern und auch sehr gut, was mir schon von anderer kundiger Seite bestätigt wurde, aber mit dem Backen hatte ich es nie so, und ich denke, es wird auch das erste und letzte mal für lange zeit gewesen sein. Bei genauerem Lesen der Rezepte fand ich heraus, dass auf jedem Rezept etwas fehlte. Hier waren es die genauen Grammangaben, dort die Backzeiten. Hier fehlte der Hinweis, wie man nun die Sahnecreme macht (ein Hinweis: „sahnecreme wie üblich“, war mir wenig hilfreich), dort stand lapidar: „durchschneiden, Marm., Creme, Alk“. Das „Marm“ deutete ich als „Marmelade“, aber was war mit Creme und Alk? Ich konnte nur vermuten, dass man alles zusammen irgendwie vermantscht und in die durchgeschnittene Torte streicht???? So kam ich nicht weiter. Ich dachte wehmütig an die meisterlichen Kompositionen von damals und begann im gedruckten Teil der Backbücher zu lesen. Himmel noch mal, das war alles kompliziert und ich begann zu verstehen, das eine Küchenwaage irgendwie zu diesem Vorhaben dazu gehört. Nun, ich wollte dieses Teil nicht auch noch kaufen wegen einem einzigen Kuchen und so dachte ich an die verschiedenen Packungen von Backmischungen in den Supermärkten. Das dürfte hinzukriegen sein.

Ich stand also Samstag Vormittag mehr oder weniger hilflos im Supermarkt vor dem ungeheuren Angebot an Backmischungen. Donauwellen und Pinocchio-Schnitten, (ich dachte mir, die Backform sei irgendwie in Form eines Pinocchio, und frag mich bis jetzt, da es sich nicht so verhält, warum das Ganze so heißt?), Zupfkuchen und Sandkuchen, Kuppeltorte und Muffins und noch tausend andere Sachen. Plötzlich sah ich eine Packung mit Käsesahnetorte und daneben eine mit Käsekuchen. Ja, was war da der Unterschied? Ich kam ins Grübeln. Eine nette junge Frau stand ebenfalls im selben Gang vor den Packungen. Ihr musste meine in Denkerfalten gelegte Stirn aufgefallen sein, denn sie sagte recht freundlich zu mir: „ die Käsesahne ist recht gut, die hab ich schon gemacht.“ Recht dankbar nahm ich den mir gebotenen Strohhalm an und fragte etwas verlegen, ob sie mir den Unterschied zwischen Käsesahne und Käsekuchen erklären könne. Sie tat ihr bestes, aber irgendwie wurde ich nicht ganz schlau draus, weil der Unterschied zwischen Sahne und Quark für mich kein großer ist. Ich bedankte mich artig, sie ging weiter und ich beschloss, hinten auf der Packung zu lesen, was Sache ist. Aha, fand ich heraus, das eine Dingens backst du nur, und aus die Maus, das andere Dingens müsste ich hinterher noch durchschneiden und mit Sahne füllen. Nun war der Unterschied so richtig klar und es kam also nur der Käsekuchen in Frage. Ich kaufte die geforderten Zutaten dazu ein, wie Eier, bei denen ich eine mittlere Größe nahm, (es steht so auf der Packung) und ein kleines Päcken Süßrahmbutter. Hier improvisierte ich schon das erste mal, denn auf der Packung steht deutlich: „Margarine“, aber ich bin kein Freund von Margarine und gesäuerter Butter, ergo nahm ich wie immer die Süßrahmbutter. Weiter ging es vor dem Kühlregal, Magerquark ist mir ein Greuel, mit dem man mich meilenweit jagen kann, also griff ich zu dem vollfettesten Quark, den ich finden konnte.

Daheim angekommen suchte ich mir die Backutensilien wie zwei Plastikschüsseln, Auswellholz, Handmixer und Quirle dazu. Ich heizte den Backofen auf 170 Grad ein, damit das Teil schon mal warm wird. Nun war das Problem, wie bekomme ich ohne Waage die 50 Gramm Butter aus dem Päckchen. Nun, es waren 125 Gramm insgesamt, also schnitt ich knapp die Hälfte in die Schüssel. Ich gab die Backmischung dazu und ein Ei und fing an, das ganze zu verkneten. Das Ei verband sich hervorragend mit der Backmischung, aber die Butter wurde als ganzer Klumpen immer durch die Quirle gefluppt. Ich schaute die Anleitung auf der Packung genauer an, da stand was von Knethaken. Aha, das konnten nur die beiden anderen Teile vom Mixer sein, die ich noch nie gebraucht hatte. Ich tauschte sie also aus in der Hoffnung, dass sich nach dem Kneten endlich ein Teig, der den Namen auch verdient, in der Schüssel bilden würde. Es war zuviel erwartet. Die verdammte Butter fluppte auch hier durch die Knethaken, ohne sich mit den restlichen Zutaten zu verbinden. Ich las die Anleitung noch mal. Aha, der Fehler lag in der zu harten Butter. Dem war leicht Abhilfe zu schaffen und ich stellte die Schüssel samt Zutaten in den schon heißen Backofen. Ich kam auf die Idee, dass ich ja die Kuchenbackform noch gar nicht hergeräumt hatte und begann erst mal zu suchen. Sie war bald gefunden und ich fettete sie laut Anweisung mit etwas Butter ein. Dann fiel mir siedend heiß die Schüssel im Ofen wieder ein. Ich riss die Ofentür auf, nahm die Schüssel heraus, die inzwischen so wie meine Gedanken auch siedend heiß geworden war, und verbrannte mir kräftig die Finger damit. Ich warf sie mehr als dass ich sie auf die Arbeitsplatte stellte. Ich sah, dass der Boden der Schüssel sich verbogen und braun eingefärbt hatte, aber der Teig schien jedenfalls schön weich zu sein. Ich verknetete alles noch mal mit den Knethaken was ganz toll funktionierte. Ich wollte den Teig auf die Arbeitsfläche kippen zum Ausrollen, der blieb aber in der Schüssel kleben. Nun ja, Improvisation ist wichtig im leben, also strich ich den Teig mit der Hand aus der Schüssel direkt in die Backform. Ich frage mich bis jetzt, wie um alles in der Welt hätte ich diesen Teig ausrollen sollen, er lief eh nach allen Seiten davon.

Ich ließ das Ganze etwas abkühlen und verteilte den Teig mit den Fingerknöcheln am Boden der Backform bis zum Rand. Am Rand sollte man laut Anleitung einen Teil des Teiges in Form einer Rolle andrücken, dass ein etwas drei Zentimeter hoher Rand entsteht. Wie soll man bitte aus fast flüssigem Teig eine Rolle formen??? Schier unmöglich. Ich beschloss auf einen Rand ganz zu verzichten. Nun wandte ich mich dem Belag zu. Vier Eiweiß mit Zucker zu festem Schnee schlagen. Eigelb vom Eiweiß trennen ist normalerweise für mich keine große Sache. Das geht mit zwei Eischalenhälften ganz hervorragend. Nun hatte ich aber von einer Freundin, die weiß, dass ich gern koche, vor geraumer Zeit einen Eiertrenner geschenkt bekommen in Form eines Hühnchenkopfes. Man stelle sich ein kleine Tasse vor, außen wie ein Hühnchen gestaltet, der Schnabel in halber Höhe ist zugleich der Ausguss für das Eiweiß.

Meine Freundin lag mir schon lange in den Ohren, ob ich das Teil denn nun endlich benützt hätte, und ich fand es an der Zeit genau dieses zu tun. Ich schlug also ein Ei in die Hühnchentasse und versuchte das Eiweiß durch kippen der Tasse durch den Hühnerschnabel abfließen zu lassen. Das klappte nur bedingt. Ein großer Rest blieb samt dem Eigelb zurück. Ich versuchte es wieder und wieder und half schließlich mit einem Löffel nach. Ich schlug das zweite Ei in die Tasse und nun war es noch ungleich schwieriger durch die beiden Dotter darin, überhaupt noch Eiweiß aus dem Schnabel zu bekommen. Wieder kam der Löffel in Aktion. Meine Laune war zu dem Zeitpunkt schon gefährlich nahe am Nullpunkt angelangt. Ich leerte die beiden Dotter in eine andere Tasse um. Ich wollte mir selber und meiner Freundin beweisen, dass der neue Eiertrenner kein Reinfall war, und schlug geduldig Ei Nummer drei und vier in die Tasse. Wieder ging es zähflüssig und ich schüttelte die Tasse voller Wut. Dadurch wurde ein Eigelb beschädigt und bevor ich es verhindern konnte floss eine nicht unerhebliche Menge Dotter mit in die Schüssel zu dem hart erkämpften Eiweiß.

Da gingen bei mir erst mal die Sicherungen aus. Ich packte die Hühnchentasse und warf sie mit solcher Wucht in das Spülbecken, dass sie darin zu Bruch ging. Das Eigelb spritzte leider bis zu einem Meter davon weg auf die vorher frisch geputzten Bodenfliesen, wobei ich mir neben meiner Wut einen Merkzettel im Hirn schrieb, künftig erst nach getaner Arbeit den Boden zu putzen. Ich wischte also die Schweinerei nahe am Explosionspunkt angekommen auf.

Nun galt es wieder zwei Eier nach der herkömmlichen Methode zu trennen, wobei mir schon bewusst war, dass ja jetzt viel zu viel Eiweiß vorhanden sein müsste, denn von Ei Nummer drei war ja die Hälfte des Eiweißes in der Schüssel gelandet. Ich pulte die Eigelbfäden mit verhaltenem Zorn aus der durchsichtigen Eiweißbrühe und fluchte innerlich extrem darüber. Wunder oh Wunder, dass das Eigelb mit dem Zucker trotzdem fest wurde. Ich gab die Belagmischung, den Quark und das Wasser hinzu und verquirlte das Ganze. Es wurde eine suppige Brühe, von der ich mir nicht vorstellen konnte, dass dieses jemals ein Käsekuchen wird. Zu dem Zeitpunkt war mir aber alles schon so egal, dass ich die Belagbrühe in die Backform goss und sie danach in den Backofen schmiss. Auf der Packung war die Backzeit auch wieder mit „etwa 70 Minuten“ angegeben. Solche Angaben hasse ich. Was ist „etwa???“ Mehr oder weniger oder wie??? Ich stellte meine kleine Küchenuhr auf 50 Minuten ein.

Als es piepte schaute ich durch die Sichtscheibe, der Kuchen war aufgebläht wie ein Ballon mit einer Mordskuppel über dem Backformrand. Da das Gebilde aber fest zu sein schien unternahm ich nichts. Der Farbe nach war der Kuchen jedenfalls nicht so weit, er war noch ganz bleich. ich gab auf der Uhr 15 Minuten zu. Es piepte wieder, die Teigkuppel war an mehren Stellen leicht eingerissen und die Farbe etwas intensiver. Ich war jetzt schwer im Dilemma sagen zu können, ist der Kuchen jetzt innen fertig oder nicht. Ich hatte keine Ahnung. Ich nahm mein schlankstes und spitzestes Küchenmesser und stach in der Mitte in die Kuppel. Als ich das Messer wieder herauszog, war es über und über voll mit flüssigem Teig. Ich gab also weitere 5 Minuten zu und verfluchte wiederum diese „ca-Angaben“. Nach 5 Minuten das selbe Spiel, reinstechen, sehen, dass nicht fertig, Zeit zugeben. Außen wurde der Kuchen immer brauner und innen tat sich nicht viel. Ich schaute mir jetzt mal die Programme meines neuen Backofens genauer an. Ich hatte den Kuchen bei Unter- und Oberhitze eingeschaltet. Wenn ich jetzt die Oberhitze ausschalte, den Backrost samt Form tiefer setze und nur noch die Unterhitze laufen lasse, dann müsste es doch endlich was werden. Gedacht, getan, und noch mal 10 Minuten zugegeben. Die Messerschnittprobe war befriedigend, ich nahm die Form heraus und ließ sie samt dem Kuchen eine Stunde abkühlen.

Mit bangen Gefühlen löste ich den beweglichen Rand der Form, stürzte ihn auf einen großen Teller, um unten den Boden der Backform abnehmen zu können. Siehe da, beides, der Rand, der ja eigentlich aus der Käsemasse und nicht aus Teig bestand und der Boden waren wunderschön gebräunt. Ich setzte eine Kuchenplatte drauf und drehte alles wieder um, so dass der Kuchen richtig lag. Die Optik der Oberseite war jetzt nicht so ebenmäßig wegen der Risse und den Einstichen, aber ich war froh, dass es überhaupt ein Kuchen geworden war.

Mein Besuch hat mir bestätigt, dass der Kuchen ganz hervorragend ist, was ich selber trotz meiner Improvisationen auch meine, denn er schmeckt vorzüglich. Zum Schutze meiner Nerven allerdings werde ich bei einem weiteren Besuch von neueren Backversuchen absehen. Finanziell betrachtet wären die Tortenstücke vom Caffeehaus kaum teurer gekommen wie eine neue Rührschüssel, von dem zerbrochenen Porzellan-Eiertrenner ganz zu schweigen. Ach ja, so nebenbei: die Kids haben mir meine Wohnung nicht zerlegt. Puh, jetzt kehrt wieder Ruhe ein, nicht nur in der Küche, sondern in der gesamten Wohnung.

 

 

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Haare färben , oder alles, was schief gehen kann

©  Sanguis Draconis 2006

Dieses ist ein Bericht so richtig aus dem Leben.
Momentan habe ich seit kurzer Zeit eine Mitbewohnerin in meiner Wohnung. Da heißt es erst mal zusammenrücken mit dem eigenen Kram und austesten, was die Nerven so hergeben.
Am Sonntag wurde ich nun von dem Schneckerl gebeten beim Haarefärben zu helfen. Man(n) ist ja, zumindest in diesem Stadium des Zusammenlebens, noch hilfsbereit und so sagte ich ohne Murren oder gar mir Gedanken darüber zu machen, zu. Welch ein Fehler!! Im Nachhinein betrachtet hätte ich einen Frisörbesuch spendieren sollen, das wäre den beiderseitigen Nerven besser bekommen.

Halten wir die Zeit fest und beginnen hier mit Minute 0.
Mein Schneckerl packte, nachdem sie ihre Haare schon gewaschen hatte und mit einem Handtuchturban auf dem Kopf verschönert war, im Badezimmer die ganzen Utensilien zum Haarefärben aus einer Tüte aus. Es handelte sich wegen Langhaar um 2 Packungen Haarfärbemittel in schwarz, (Casting, für Interessierte), die in sich wieder je aus 2 Komponenten bestehen, die es zusammen zu mischen gilt. Eine Plastikflasche mit quietschpinker Farbe für die Strähnchen, zwei Paar Handschuhe aus je einer Castingpackung, die im Leben niemals auf eine Männerhand passen, einen Stielkamm und eine Rolle Haushalts-Alufolie. ? Das erste Fragezeichen stand im Raum. Für was braucht man zum Haarefärben Alufolie? Schneckerl erklärte mir souverän, damit wickelt man die Strähnchen separat ein, damit die schwarze Farbe das Pink nicht versauen kann. So weit, so gut.

Schneckerl setzte sich mit nackigem Oberkörper auf einen Stuhl, den ich zuvor ins Bad gestellt hatte. Irgendwie wollte ich sofort etwas anderes tun, als ich sie so sitzen sah, aber jetzt war erst mal Konzentration angesagt. Ich erhielt den Auftrag erst mal alle Strähnen herauszusuchen um die Anzahl der benötigten Alustreifen bestimmen zu können. Mit dem Stielkamm ging ich auf die Suche nach den ausgebleichten Strähnen, die im noch sehr feuchten Haar kaum auszumachen waren. Ich wurde fündig, pulte eine Strähne hervor und suchte die nächste. Kaum hatte ich sie gefunden, war die erste Strähne wieder im Haar verschwunden. Ich klagte mein Leid und Schneckerl wusste Abhilfe; ich sollte jede kleine Strähne mit einer winzigen Haarklammer „einmerken“. Sie gab mir kleine Spängchen von je höchstens einem halben Quadratzentimeter Ausmaß, die sich mit einer Feder in der Mitte öffnen ließen.

So suchte ich geduldig Strähne um Strähne heraus, „merkte“ sie ein und fluchte innerlich bei jedem Spängchen über dessen Winzigkeit in meinen Fingern. Es war nun gut eine halbe Stunde um. Gemeinsam rissen wir breite Streifen von der Alufolie ab und suchten für mich passende Handschuhe im Fundus der Putzmittel. Schneckerl übernahm wieder die Regie und meinte „du hebst jetzt eine Stähne hoch, schiebst die Alufolie drunter bis zum Haaransatz, legst die Strähne drauf und schmierst mit der Schraubkappentülle der Haarfarbenflasche die Strähne ein und legst die Folie klein zusammen, so dass sie wie ein ganz kleines Päckchen auf dem Kopf ruht.“

Einfach, nicht wahr! ?

Ok. Gesagt getan. Als die Strähne platziert war, drückte ich auf die Plastikflasche um Farbe in die Tülle und von da aufs Haar zu bekommen. Ich drückte. Und drückte. Und drückte....

Scheiße!! Ein ganzer See von quietschpinkem Schlonz ergoss sich auf die Alufolie. Vor lauter Schreck und um instinktiv das Schlimmste zu verhindern drückte ich reflexartig die Folie an den Kopf, was zur Folge hatte, dass sich die Farbe den Weg der Schwerkraft gemäß über die Haare nach unten auf Schneckerls Schulter suchte. Ich knüllte die zerrissene Folie zusammen und warf sie mit Schwung ins Waschbecken, wo sie in einer pinken Spur langsam zum Ausguss rutschte. Fast zur selben Zeit sprang ich zum bereitgelegten Waschlappen und putzte erst Schneckerl, dann den Boden ab, der Gottseidank aus schwarzen Fliesen besteht.

Neuer Versuch, neues Glück. Es klappte diesmal, und das erste Alupäckchen zierte ihren Kopf. Ich atmete innerlich auf, nur noch 12 Stück lagen vor mir. Die nächsten beiden Strähnen klappten auf Anhieb. Ich wurde richtig stolz, dass ich das so im Griff hatte. Da alles so wunderbar flutschte und ich sehr ungern solche Plastikhandschuhe anhabe, zog ich die Dinger kurzerhand wieder aus. Aber Hochmut kam in diesem Fall vor dem nächsten Patzer. Ich lag gerade mit der Strähne über dem Linken Auge im Kampf, als ich hochmotiviert so schwungvoll die Farbe aus der Tülle drückte, dass ich die Alufolie durchstieß und die ganze Ladung Schlonz meinem Schneckerl geradewegs ins Gesicht spritzte. Der Quietscher von ihr hielt sich erstaunlicherweise in Grenzen. Schuldbewusst griff ich wieder zum Waschlappen. Sie meinte, in dem Fall helfe nur „Farbex“. Ich gab also etwas von der Lösung, die leicht nach Terpentin stinkt, auf einen Wattepad und wischelte ihr im Gesicht herum. Stoisch ließ sie es über sich ergehen. Irgendwie wirkten meine Finger auch als „Farbex“, soll heißen: beide Hände hatten nach dieser Aktion pinkfarbene Finger bis zur Handfläche. Diese Farbe war auch mit neuen getränkten Wattepads nur ungenügend zu entfernen. Schneckerl meinte lapidar; „Du hast zu rauhe Haut, da lagert sich die Farbe in die Risse ein“.

Na danke schön! Einmal ein ehrliches Wort über meine Hände. Seltsam nur, dass sie sich sonst noch nie beim Streicheln oder Betatschen über meine rissigen Hände beschwert hatte. Diesen Gedankenausflug konnte ich mit einem Blick auf die Uhr unterdrücken. Mittlerweile war eine Stunde ins Land gegangen. Ich nahm mich zusammen, zog die Handschuhe wieder an und behandelte die Restlichen Strähnen gekonnt! (?) zwanzig Minuten später war ich fertig damit.

Nun gings ans Mischen der beiden Komponenten der schwarzen Haarfarbe. War ja sehr easy, ein Fläschchen aufschrauben, das zweite Fläschchen mit wenig Druck mit dem ersten verschrauben und alles gut schütteln, damit sich der ineinanderfließende Inhalt gut vermischt. So weit, so gut. Ich begann am Wirbel am Hinterkopf die Farbe aufzutragen. Schneckerl ermahnte mich, nur wenig Haare abzuteilen, damit die Ansätze rundherum Farbe abbekämen. Innerlich staunte ich schon über die silbern schimmernden Ansätze auf dem Kopf vor mir, denn so alt ist mein Schneckerl mit Jahrgang 60 nun doch nicht. Wohl hütete ich mich aber, etwas verlauten zu lassen.
Vorne an den Haaransätzen war ich die Engelsgeduld in Person, nur damit ja nichts schief ging. Zwei kleinere Tropfen, die ihre Stirn herunterflossen, nenne ich persönlich als ganz normal. „Farbex“ half mir ja.
Die Farbe neigte sich dem Ende zu und es galt die zweite Portion anzumischen. In weiser Voraussicht hatte ich das eine Fläschchen der zweiten Packung schon vorher aufgeschraubt und griff frohen Mutes nach dem anderen Fläschchen, um die beiden zu verschrauben. Eine gekonnte Drehung und voila,............das Glasfläschchen mit der schwarzen Farbe glitt mir aus den schlonzigen Handschuhen und fiel mit Kawumms auf meine Badezimmerkommode, die sich bis dato in unschuldigem Weiß und Gelb gehalten ihres Daseins erfreute, wo es auf der Seite liegen blieb und wenigstens noch die Hälfte der Farbe in sich beließ. Noch während ich innerlich um Hilfe schrie, jumpte ich nach dem bereits bewährten Waschlappen und versuchte die Sauerei, die sich langsam immer mehr ausbreitete, weg zu wischen. Erschwert wurde die Aktion von allem möglichen Kram, der achtlos auf der Kommode verteilt lag und nun in der Suppe schwamm. Vom Schneckerl kam kein Laut, was mir im Nachhinein betrachtet seltsam vorkam, denn sie ist ansonsten nicht gerade mit Megageduld gesegnet. Der Waschlappen nahm längst nicht so viel Farbe auf wie auf der Kommode glänzte. Ich versuchte ihn am Waschbecken hektisch auszuwaschen, was nur zur Folge hatte, dass ein Schaumberg im Waschbecken war und ein Strom von glitschigem Wasser mir oben in die Handschuhe lief.

Ekelhaft!!!

Derweil lief die auf der Kommode verbliebene Farbe fröhlich die Frontseite derselben herab und zeichnete dabei ein interessantes Muster. Ich lief in die Küche um eine Rolle Küchenpapier zu holen und war in Windeseile wieder zurück. Schneckerl saß unbeweglich auf ihrem Stuhl. Ich dachte bei mir, „schläft sie, oder was ist?“ Hinterher stellte sich heraus, dass ich so viel Farbe oben am Kopf verteilt hatte, dass sie sich nicht bewegen konnte, ohne dass alles ins Laufen geraten würde. Immer noch kein Ton von ihr, nur ein gottergebener Blick traf mich. Ich schmiss drei Lagen Küchenpapier auf den Kommodendeckel, wischelte herum damit und versuchte dann mit neuen Lagen der versauten Frontseite zu Leibe zu rücken. Es gelang nur mäßig. Ich putzte alle nassen Gegenstände ab und wandte mich meiner „Statue“ wieder zu. Endlich ein Laut von ihr: „du hast auf den Badvorleger getropft!“ Ich schmiss des Dingens in die Badewanne, ließ einfach heißes Wasser drüber laufen und riss mir die innen total klebrigen Handschuhe von den Fingern. Der Inhalt der „Farbex“-Flasche nahm bedenklich ab.

Die Uhr zeigte wieder eine Stunde an , die verstrichen war.

Ich wollte nun die verbliebene Farbe mit der andern Flüssigkeit verschrauben, da sagt sie,
„Du musst etwas Entwickler raustun, es ist ja nur noch die halbe Farbmenge da.“
„Wie viel soll ich raus tun?“
„Keine Ahnung, mach halt mal.“

Ok, ich machte.

Was soll ich sagen, der Rest lief (relativ) glatt über die Bühne. Schneckerl erschwarzte am ganzen Kopf, ich entdeckte, dass ihre neugekaufte Armbanduhr im Schlonz gelegen hatte und das Lederband auf der Rückseite total schwarz eingefärbt war. Ich versuchte mit dem berühmten „Farbex“ erfolglos mein Glück. Auch die Kommodenvorderseite behandelte ich, diese mit etwas mehr Erfolg.

Nachdem alle Spuren so ziemlich beseitigt, insgesamt fast vier Stunden um, und die Haare trocken geföhnt waren, inspizierte Schneckerl im Spiegel mein Machwerk. Im Nackenbereich, wenn man das Haar anhob, silberte es an manchen Stellen noch verdächtig, aber vorne und insgesamt gesehen war sie recht zufrieden. Ich bekam zum Lohn einen Kuss. Die Sache mit dem Lederband nahm sie sehr gelassen. Ich fragte sie, wie sie so ruhig hatte bleiben können. Nun, das war die Antwort:

„ Ich hatte zwei Möglichkeiten. Entweder aufstehen, dich gleich töten und in kauf nehmen, dass die ganze Farbe runterläuft, oder Zenübungen zu machen und mir zu überlegen, nächstes mal gleich zum Frisör zu gehen. Ich dachte für unser beider Nerven und für mein Haar ist wohl die zweite Möglichkeit die bessere.“

An diesem Abend fiel ich nur noch ins Bett.

 

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Drachi und der falsche Weihnachtsmann

 

©  Sanguis Draconis 07.11.2007

Wieder ist fast ein Jahr vergangen in Drachenhausen und die Vorweihnachtszeit rückt näher. Alle Bewohner dieser schönen Stadt befinden sich schon emsig in den Vorbereitungen zum Fest, sei es, sie backen Plätzchen und Lebkuchen, oder sie schmücken ihre Häuser innen und außen recht prächtig.

In Drachenhausen pflegt man nämlich seit langem jedes Jahr einen schönen Brauch. Von allem, was die Drachenhausener zum Fest herrichten, geben sie ein kleines Stück ab an  Kinder armer Familien in Schmalstadt, einer weiter entfernten, kleinen Stadt. Und wie jedes Jahr soll der Weihnachtsmann am 23. Dezember die gesammelten Geschenke in seinem Schlitten von Drachenhausen nach Schmalstadt fliegen und dem dortigen Bürgermeister übergeben. Dieser wird sie dann am Nachmittag das 24. Dezember bei der Schmalstadter Weihnachtsfeier im Stadtpark an die Kinder verteilen. Ganz Schmalstadt ist jedes Jahr auf den Beinen um diese Aktion mitzuerleben und sich zusammen mit den beschenkten Kindern zu freuen.

Auch Drachi und Christel, Drachis hübsche Elfenfreundin, haben fleißig mitgemacht bei der Sammelaktion. Christel hat gleich 3 Bleche Weihnachtsplätzchen mehr gebacken als sie für Drachi vorgesehen hatte und Drachi stiftet zwei wunderschöne Lichterketten mit kleinen beleuchteten Zapfen dran. Es war für Christel gar nicht so leicht, die zusätzlichen Plätzchen vor Drachi versteckt zu halten, es war aber dringend nötig, denn unser Drachi mag ja Süßes in jeder Form und hätte sicher nicht widerstehen können, hätte er Christels Plätzchenversteck gefunden. Auch Drachis kleine Neffen, Ferdi und Tobi machen eifrig mit bei der Aktion. Tobi trennt sich von seinem nagelneuen Flugzeug mit Fernsteuerung, das er unlängst zum Geburtstag geschenkt bekam und Ferdi verschenkt (schweren Herzens) seinen neuen Kreisel, den er nach langem hin und her von seinem Onkel Drachi wiederbekommen hat. Wie es zu dem ganzen Kreiselunglück kam, könnt ihr übrigens HIER sehen.  

Die Geschenke werden bis zum 22. Dezember im Drachenhausener Rathaus abgegeben, wo sie in einem ganz speziell dafür vorgesehenen Raum gesammelt und sortiert werden. Einen Tag später werden sie, hübsch verpackt, dem Weihnachtsmann übergeben zum Transport.

Heute ist nun der 23. Dezember und die Transportübergabe findet in wenigen Augenblicken statt. Ganz Drachenhausen versammelt sich am Marktplatz vor dem großen Rathaus und wartet geduldig auf die Ankunft des Weihnachtsmannes, um schon mal vor dem Heiligen Abend einen Blick auf ihn zu erhaschen. Das ist der Vorteil, wenn man in Drachenhausen wohnt, den Weihnachtsmann vor dem 24. Dezember zu sehen, so etwas gibt es sonst nirgends auf der Welt.

Ein leises Klingeln liegt plötzlich in der Luft, die Köpfe der Drachenhausener rucken herum. Weit hinten über dem Stadtwald beginnt sich der Himmel in einem zarten Leuchten aus allen Regenbogenfarben zu verfärben. Ein Schlitten wird sichtbar, der rasch näherkommt.

„Oh, Ah!“ So staunen die Drachenhausener, allen voran Drachi, der mit Christal in der ersten Reihe der Zuschauer steht. Nun kann man schon Einzelheiten erkennen. Ein schwergewichtiger Weihnachtsmann hat die Zügel der beiden Rentiere fest in seiner Hand und steuert elegant auf den Marktplatz  zu. Schwungvoll landet er und bremst den Schlitten vor den aufgestapelten Geschenken ab. Die Rentiere schauen sich unruhig um.

Wieder geht ein Raunen durch die Menge, als der Weihnachtsmann aussteigt und seine Stimme hinter einem mächtigen, weißen Rauschebart ertönen lässt,
„ Ich grüße euch! Alle Jahre wieder, ihr Drachenhausener, komme ich zu euch um eure Geschenke für Schmalstadt abzuholen. Ich sehe, auch dieses Jahr habt ihr fleißig gespendet. Ich bin sehr zufrieden mit euch.“

Drachi runzelt die Augenbrauen. War der Weihnachtsmann erkältet, oder warum klang seine Stimme so anders als die der  vorhergehenden Jahre? Drachen haben ein megagutes Gedächtnis, also kann Drachi sich genau an den Klang der Stimme erinnern. Auch kommt es Drachi seltsam vor, dass sich die beiden Rentiere scheinbar gar nicht wohl in ihrer Haut fühlen. Ständig wenden sie die Köpfe nach dem Weihnachtsmann und scharren leicht mit ihren Hufen. Weihnachtsrentiere stehen normalerweise in Flugpausen wie zur Salzsäule erstarrt, bis der Weihnachtsmann mit der Zunge schnalzt und die Schlittenfahrt weitergeht. Erst dann erwachen sie wie aus einem Tiefschlaf und setzen den Flug fort. Diese Erholungsphasen brauchen die Tiere dringend, denn stellt euch mal vor, ihr müsstet in einer Nacht die ganze Welt umrunden, da würdet ihr auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein Nickerchen machen.

Heute war nun alles etwas anders als sonst. Drachi guckt sich um. Keiner der Zuschauer scheint etwas ungewöhnliches zu bemerken, alle jubeln dem Weihnachtsmann zu. Dieser zieht seinen großen, roten Sack hervor und steckt ein Päckchen nach dem anderen hinein. Die Zuschauer wollen wie jedes Jahr ergründen, wie es vor sich geht, einen meterhohen Berg an Geschenken in einen vergleichsweise kleinen Sack zu zwängen, aber noch nie hat es jemand geschafft, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Bald ist das letzte Geschenk verstaut und der Weihnachtsmann lädt den Sack auf seinen Schlitten. Mit den Worten,

„Danke, liebe Drachenhausener. Ich überbringe eure Grüße nach Schmalstadt.“

verabschiedet sich der Weihnachtsmann, steigt auf seinen Schlitten und schnalzt mit der Zunge. Die beiden Rentiere, sichtlich erleichtert, wieder etwas zu tun zu bekommen, werfen sich ins Geschirr und heben mitsamt ihrer magischen Last ab in Richtung Schmalstadt. Die Zuschauermenge beginnt sich zu zerstreuen, aber Drachi steht nachdenklich da.

„Was ist los, Drachi?“ fragt ihn Christel.
„War das nicht schön eben?“ fährt sie begeistert fort.
Drachi unterbricht sie, „Sag mal, Christel, ist dir nichts aufgefallen?“
„Was soll mir aufgefallen sein, außer, dass es wie jedes Jahr wunderbar war, den Weihnachtsmann so nah zu sehen?“

Drachi mustert sie noch nachdenklicher, dann  fasst er einen Entschluss.
„Christel, ich werde erst später heimkommen, ich muss noch was erledigen.“
Mit diesen Worten lässt er seine verdutzte Freundin stehen, dreht sich um, flappt mit den Flügelchen und ist gleich darauf in die Lüfte entschwunden, dem Weihnachtsschlitten hinterher.

Drachi gibt alles und erreicht ein sagenhaftes Flugtempo. Bald darauf kommt der Schlitten in Sichtweite. Drachi hält gebührenden Abstand, vorsichtig fliegt er weiter. Da kann wirklich etwas ganz und gar nicht stimmen, denkt er bei sich. Der Weihnachtsmann, oder wer auch immer sich für ihn ausgibt, lässt die Zügel wuchtig auf die Flanken der Rentiere klatschen, so dass sie sich im Flug aufbäumen. Drachi ist sich nun sicher, das ist niemals der echte Weihnachtsmann. Dieser würde seine Tiere niemals so grob behandeln.

Noch während Drachis Gedankengängen schwenkt der Schlitten nach rechts ab von der korrekten Flugbahn nach Schmalstadt und fliegt weiter in Richtung Schwarzenland. Drachi wird unbehaglich zumute. Schwarzenland ist ein gefährliches Pflaster für kleine Drachen. Dort lebt nur lichtscheues Gesindel, dem man besser aus dem Weg geht. Schon mancher kleiner Drache oder gar manche Elfe oder Zwerg sind spurlos in Schwarzenland verschwunden.

Hier herrscht der garstige Drachenbaron Bubox. Man sagt, seine Verliese sind voll von unschuldigen Kreaturen, die dort ihre letzten Tage verbringen. Immer näher führt der Flug zu Bubox´ Burg und immer unheimlicher wird es Drachi. Er schimpft sich insgeheim selber, dass er Christel nicht genau gesagt hatte, was er denn eigentlich im Sinn hat. Der Schlitten wird langsamer. Die Rentiere spüren die schlechte Ausstrahlung der Burg, möchten am liebsten umkehren, aber der falsche Weihnachtsmann führt die Zügel unerbittlich und lenkt die Tiere in den Burghof. Dort wird er von Wachleuten aus Baron Bubox´ Gefolge schon erwartet. Drachi landet ungesehen auf der Burgmauer und guckt zwischen zwei Zinnen hindurch dem Treiben zu. Der falsche Weihnachtsmann steigt aus und beginnt mit seinen Kumpanen den Schlitten abzuladen. Sie dreschen solch derbe Scherze über die armen Schmalstadter Kinder, die nun zu Weihnachten leer ausgehen, dass Drachi sich zusammen nehmen muss, um sich nicht auf die Übeltäter zu stürzen.

Bald ist der Schlitten abgeladen und alle üblen Gesellen verziehen sich in das Innere der Burg. Drachi fliegt in den ersten Stock hinauf und guckt vorsichtig durch ein Fenster in Bubox´ Thronsaal. Der Baron sitzt auf seinem Thron und seine Diener breiten gerade die geraubten Geschenke vor ihm aus. Bubox deutet auf ein kleines Kästchen, das ihm ein Diener sofort bringt. Der Baron öffnet das Kästchen, greift hinein und zieht seine Hand wieder mit einer schwarzen Masse zurück, die entfernt nach Schokolade ausschaut. Drachi ist ratlos. Was ist das nur, was der Baron da in seiner Hand hat. Die Erklärung folgt sogleich, als der Bubox voller Entzücken zu sprechen anfängt,

„Nun bin ich endlich der ungekrönte Schokoladenkönig. Diese magische Schokoladenmasse ermöglicht es mir, den weltweiten Schokolademarkt zu beherrschen. Ein Atom davon genügt um eine Million Liter Milch in allerfeinste Schokolade zu verwandeln. Gleichzeitig schwindet mit jedem Gramm Schokolade, das durch diese Magie erschaffen wird, irgendwo in der Welt die selbe Menge an anderer, herkömmlicher Schokolade. Niemand wird es je wieder wagen können, Schokolade herzustellen, da die Gefahr besteht, dass sie früher oder später spurlos verschwindet. Diese Masse stammt von einer Drachenhausener Zauberin, die den Schmalstadter Kindern damit eine lebenslange Freude machen wollte. Nun ist die magische Masse mein.“ Bubox lacht gar grausig. Drachi läuft es eiskalt die schuppige Haut hinunter. Um Himmels Willen, was er da gehört hatte, war ein Verbrechen an allen Bewohnern der Welt und Drachi nimmt das auch noch sehr persönlich, da er ja Schokolade über alles liebt. Vor allem stellt sich jetzt erst mal die Frage, wo ist der echte Weihnachtsmann? Er kann nur in einem der Verliese sein, denkt sich Drachi folgerichtig.

Die nächsten Stunden macht Drachi in der nächsten Stadt einige Besorgungen. Als es Nacht geworden ist wagt er einen Befeiungsversuch des Weihnachtsmannes. Unser kleiner Held nähert sich dem Teil der Burg, in dem die Gefangenen untergebracht sind und zieht sich ein weißes Bettlaken über Kopf und Körper. Vorher hat er zwei kleine Löchlein für die Augen ausgeschnitten, damit er etwas sehen kann. Mit dunkler Grabesstimme lässt Drachi nun ein schauerliches Stöhnen und Ächzen hören und fliegt durch ein offenes Fenster in die Gewölbe hinab. Seine Stimme hallt an den Gangmauern wider und ist so noch viel lauter als in Wirklichkeit. Drachi nähert sich dem ersten Wachposten. Dem stehen alle Haare zu Berge, als er das heranfliegende Gespenst sieht. Der Wachmann dreht sich um und läuft schreiend davon. Genauso ergeht es den übrigen Wachen, die hier unten ihren Dienst verrichten. Der Weg zu den Verließen ist somit frei. Nun muss alles sehr schnell gehen, bevor die davonstürmenden Wachen Alarm schlagen. Hinter den Verließtüren regt sich einiges. Drachi sucht fieberhaft die richtigen Schlüssel für die Zellentüren, die sich an den großen Schlüsselbunden befinden müssen, die die Wachen bei ihrer überstürzten Flucht vor lauter Angst weggeworfen haben. Tür um Tür schließt Drachi auf und dankbare Elfen, Zwerge, Trolle und andere Wesen strömen aus den übervölkerten Zellen die Gänge hinauf in die Freiheit. Wo ist nur der Weihnachtsmann abgeblieben? Drachi findet ihn nicht. Ganz unglücklich gibt er die Suche auf.

Nun gilt es nur noch, die magische Schokoladenmasse und die Rentiere mitsamt dem Schlitten aus Bubox´ Händen zu retten. Drachi fliegt zurück zum Burghof und klemmt sich flugs hinter die Zügel der Rentiere in den Schlitten. Er schnalzt, so wie er es jahrelang am Marktplatz von Drachenhausen vom Weihnachtsmann gehört hatte, mit der Zunge und die Rentiere machen einen gewaltigen Satz nach vorne und stürmen dann los. Der Schlitten schießt hoch hinauf zum Turmzimmer im rechten Außenturm der Burg. Dort ist das magische Laboratorium vom Baron. Durch ein Fenster sieht Drachi den Baron die ersten Versuche mit der magischen Schokoladenmasse machen. Das darf nicht sein. Mit Scheibengeklirr und lautem Getöse brechen die Rentiere samt Schlitten und Drachi durch ein breites Fenster in das Turmzimmer. Der Baron zuckt erschreckt zusammen und die Schokoladenmasse fällt ihm aus Hand. Bevor sie allerdings den Boden berührt, ist der Schlitten heran. Drachi beugt sich in rasendem Flug aus dem Schlitten, schnappt sich die magische Masse, und ist mit noch mehr Getöse auf der anderen Seite des Turmzimmers durch das Fenster wieder nach draussen verschwunden. Der Baron bleibt mit offenem Mund zurück. Er ist vor lauter Schreck unfähig sich zu bewegen.

Drachi steuert den Schlitten wieder hinunter und sieht auf dem Dach der Burgküche einen kleinen Mann in Rot aufgeregt winken. Es ist der Weihnachtsmann, der sich in dem allgemeinen Durcheinander selbst hatte befreien können. Drachi fliegt eine gekonnte Spirale mit dem Schlitten und versucht den Weihnachtsmann vor seinen Verfolgern zu erreichen, die mittlerweile schon den Rand des Daches erklommen haben. Landen ist in der Kürze der Zeit nicht möglich, das weiß Drachi und das weiß der Weihnachtsmann. Es gibt nur eine einzige Chance auf Rettung. Ist sie vertan, ist alles umsonst gewesen und der Weihnachtsmann bleibt Bubox´ Gefangener.

Der Schlitten schießt heran, der Weihnachtsmann streckt sich, springt mit einem gewaltigen Satz vom Dach ab und schafft es, sich an einer Kufe des Schlittens festzuhalten. Wie von einer Riesenfaust gepackt wird der Weihnachtsmann vom Dach in luftige Höhen gerissen, gerade noch rechtzeitig, bevor seine Verfolger ihn packen können. Nun zappelt er an der Schlittenkufe und versucht sich irgendwie festzuhalten auf dem irrsinnigen Flug. Drachi steuert die Rentiere noch ein ganzes Stück von der Burg weg, bevor er gefahrlos landen und dem Weihnachtsmann seinen Schlitten wieder übergeben kann.

Freudig umarmt der Weihnachtsmann Drachi und verrät ihm aus lauter Dank ein lang gehütetes Geheimnis, nämlich, wie es klappt, dass ein drei Meter hoher Geschenkeberg in einen relativ kleinen Sack passt. Leider erzählt Drachi dieses Geheimnis nicht weiter, er hat es dem Weihnachtsmann versprechen müssen.

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Der Weihnachtsmann spricht den Weihnachtsgeschenkerückholzauberspruch aus und die gestohlenen Geschenke schweben wie von Geisterhand aus Bubox´ Burg in einer langen Reihe auf Drachi und den Weihnachtsmann zu. Beide liefern die Geschenke und die magische Schokoladenmasse in Schmalstadt unter dem Jubel der Bevölkerung ab. Weihnachten ist gerettet nicht nur für die kleinen Bewohner der Stadt, auch alle Erwachsenen freuen sich ganz fest mit den Kindern mit.

Drachi bekommt zum Abschied vom Weihnachtsmann noch ein besonderes Geschenk. Es ist die Sonnenbrille vom Weihnachtsmann, die der kleine Drache auf der hitzigen Flucht neben sich im Schlitten bemerkt hat und kurzerhand aufgesetzt hatte, da ihn die Sonne blendete.

Drachi fliegt recht vergnügt und zufrieden in Richtung Drachenhausen. War das ein tolles Weihnachtsabenteuer. Christel wird staunen, wenn er ihr das alles erzählen wird.

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